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Erziehungsberatung ist ein psychosoziales Beratungsangebot, das im Rahmen der Jugendhilfe flächendeckend von der öffentlichen Hand vorgehalten wird. Verankert ist dies im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG ), das Erziehungsberatung als Regelleistung der Kommunen vorsieht. Dieser historisch gewachsene und im KJHG verankerte Begriff ‚Erziehungsberatung‘ kann zu Irritationen führen, weil er nahe legt, dass nur Eltern in Erziehungsfragen beraten werden. In der Praxis richten sich Beratungsangebote an Eltern, Kinder, Jugendliche, Familien und junge Erwachsene. Daher heißen die Beratungsstellen oft auch ‚Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern‘ oder ‚Psychologische Beratungsstelle‘ oder ‚Familienberatungsstelle‘ usw..

Auch der direkte Zugang von Kindern und Jugendlichen, zum Teil auch ohne Kenntnis der Sorgeberechtigten, und anonyme Beratung sind möglich.

Unter den Hilfen zur Erziehung, die das KJHG vorsieht, ist Erziehungsberatung mit ca. 75% zahlenmäßig die bei weitem häufigste Hilfe.

In Hessen gibt es derzeit ca. 65 Erziehungsberatungsstellen, verteilt über sämtliche Städte und Landkreise, wobei die größeren Städte deutlich besser versorgt sind. Die Beratungsstellen befinden sich in unterschiedlicher Trägerschaft, etwa 50 % kommunal und zu 50 % in kirchlicher oder sonstiger freier Trägerschaft.

Die LAG ist der hessische Fachverband der Erziehungsberaterinnen und -berater, kein Zusammenschluss der Träger von Beratungsstellen.

Grundprinzipien der Arbeit in Erziehungsberatungsstellen:

1.Verschwiegenheit:

Der Vertrauensschutz der Ratsuchenden ist gewährleistet durch die Verschwiegenheitspflicht der Beraterinnen und Berater. Die Weitergabe von Informationen über die Lage der Betroffenen oder über Beratungsinhalte ist nur dann möglich und zulässig, wenn die Betroffenen in geeigneter Form ihr Einverständnis erklärt haben. Diese Verschwiegenheitspflicht der BeraterInnen gilt selbstverständlich auch gegenüber den Überweisern. Sie allein gewährleistet die Vertraulichkeit der Beratungskontakte, die Voraussetzung jedes positiven Veränderungsprozesses ist.

2.Kostenfreiheit für Ratsuchende:

Ratsuchende werden in keiner Form für die Kosten der Beratung herangezogen. Sämtliche fallbezogenen Leistungen der Beratungsstelle (Beratung, Psychologische Diagnostik, therapeutische Maßnahmen), Koordinationsaufgaben und präventive Aktivitäten werden für die Ratsuchenden kostenfrei erbracht.
Da Erziehungsberatungsstellen institutionell finanziert werden (nicht über Fallpauschalen, Fachleistungsstunden oder andere einzelfallbezogene Finanzierungen), können die für die Betroffenen notwendigen Maßnahmen unter inhaltlichen Gesichtspunkten den individuellen Anforderungen angepasst werden.

3.Direkter Zugang (Niedrigschwelligkeit):

Obwohl Erziehungsberatung im KJHG zu den Hilfen zur Erziehung gehört, die in der Regel vom zuständigen Jugendamt eingeleitet und koordiniert werden, ist die Inanspruchnahme der Beratungsstelle für jedermann ohne Zugangsbeschränkungen oder bürokratische Hemmnisse möglich und der Regelfall. Das Jugendamt muss in keiner Form in die Beratungstätigkeit einbezogen werden. Nur wenn die Überweisung in die Beratungsstelle durch das Jugendamt erfolgte und weitere Hilfen zur Erziehung durchgeführt werden, werden die Hilfen insgesamt durch das Jugendamt (im Hilfeplanverfahren) koordiniert. Dabei wirkt die Beratungsstelle in Absprache mit den Betroffenen mit.
Der direkte Zugang zur Beratungsstelle wird mancherorts aufgrund der immensen Nachfrage und daraus entstehenden langen Wartezeiten erschwert. Viele Beratungsstellen versuchen diesem Dilemma durch offene Sprechstunden ohne Voranmeldung, vermehrte Kurzzeitberatungen oder präventive Angebote zu begegnen. Längere Wartezeiten sollen möglichst vermieden werden, sind aber auch oftmals ein Zeichen zu geringer personeller Ausstattungen der Beratungsstellen. Auf jeden Fall wird aber eine rasche Versorgung im Krisenfall gewährleistet.

4.Freiwilligkeit:

Die Vertraulichkeit der Beratung und die Bereitschaft, sich in den Prozess einer Veränderung von Verhalten, Einstellungen, Sichtweisen oder familiärer Beziehungen zu begeben, können nur auf der freien und bewussten Entscheidung der Ratsuchende gründen, diesen Lösungsweg zu beschreiten. Druck und Zwang führen in der Regel zu Widerstand oder nur formeller Kontaktaufnahme ohne innere Überzeugung, daher auch zu vermehrten Terminabsagen oder frühzeitigen Abbrüchen des Beratungskontaktes.
Hinweise und Empfehlungen von wichtigen Bezugspersonen können ebenso Druck erzeugen wie amtliche Maßnahmen oder drohende Sanktionen (Nicht-Versetzung, drohende Sonderschulüberprüfung, drohender Schulverweis, gerichtliche Anordnungen etc.), sind aber oftmals auch erforderlich, um betroffenen Familien die Notwendigkeit einer Unterstützung deutlich zu machen. Daher ist Freiwilligkeit nicht unbedingt eine Zugangsvoraussetzung, sondern oft das erste Ziel des Beratungskontaktes: Druck von außen muss in eine eigene Fragestellung der Betroffenen und in innere Motivation umgewandelt werden, damit sich ein erfolgversprechender Beratungskontakt entwickeln kann.

Struktur der Erziehungsberatungsstellen und der Arbeit:

Die Beratungsstellen wurden bisher auf der Grundlage von Anerkennungsrichtlinien des Landes Hessen staatlich anerkannt. Diese schreiben (wie auch die Fachlichen Empfehlungen des Landesjugendamtes) in wesentlichen Punkten die Qualitätsmerkmale von Beratungsstellen fest. Dazu gehört:
Jede Beratungsstelle verfügt über ein multiprofessionelles Team mit i.d.R. mindestens 3 Vollzeitmitarbeitern. Dabei sind die Bereiche Psychologie, Pädagogik und Sozialpädagogik/ Sozialarbeit fachlich auf jeden Fall vertreten. Außerdem können auch Kinderärzte oder Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendlichentherapeuten oder VertreterInnen anderer Professionen mit Kompetenzen, die der Arbeit in Erziehungsberatungsstellen dienlich sind (z.B. Juristen), in den Teams mitarbeiten.
Das Tätigkeitsfeld der Erziehungsberatung umfasst überwiegend die einzelfallbezogene Arbeit, Beratung + Therapie (ca. 75% der Arbeitskapazitäten), aber auch die Vernetzung und Koordination mit anderen Einrichtungen (Schulen, Jugendamt, Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen, Stadtteilarbeitskreise etc.) und präventive Maßnahmen (zusammen etwa 25%) gehören zum Aufgabenfeld der Erziehungsberatungsstellen.

Wer sucht die Erziehungsberatungsstellen auf ?

Eltern mit Kindern unterschiedlichen Alters, z. T. schon ab dem Säuglingsalter suchen die Beratungsstellen auf. Besonders zahlreich sind jedoch die Anmeldungen von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter. Die Anmeldezahlen von Jugendlichen sind etwas geringer, was auch mit der Loslösung der Kinder vom Elternhaus und von kindlichen Autoritätsvorstellungen zusammenhängt. Ältere Jugendliche und junge Erwachsene melden sich dann wieder häufiger selber in der Beratungsstelle an. Die Geschlechterverteilung zeigt als langjährigen Erfahrungswert, dass immer noch mehr männliche als weibliche Kinder/ Jugendliche angemeldet werden, auch wenn sich das langsam ändert. Besonders zahlreich werden Jungen und junge männliche Jugendliche angemeldet, während bei den älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen die weiblichen Anmeldungen überwiegen.
Besonders viele Alleinerziehende und von Trennung/Scheidung Betroffene suchen die Erziehungsberatungsstellen auf.

Die häufigsten Fragestellungen in den Erziehungsberatungsstellen

Art und Umfang der Fragestellungen, mit denen ratsuchende Menschen die Beratungsstellen aufsuchen, sind breit gefächert. Hier der Versuch, die wichtigsten Fragestellungen darzustellen:

Fragen zur Erziehung, zur Entwicklung von Kindern oder zu kindlichen Ausdrucksweisen in bestimmten Lebenssituationen (Einschulung, Aufnahme in Kindergarten, neue Geschwister usw.). Fragen und Probleme beim Erwerb neuer Entwicklungskompetenzen (Spracherwerb, Sauberkeitserziehung, soziale Entwicklung)
Fragestellungen und Auffälligkeiten im Bereich Schule und Leistungsverhalten: Leistungsprobleme, Teilleistungsstörungen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Schulangst, Konflikte und soziale Störungen in der Schule, Fragen der Schullaufbahn usw.
Soziale Auffälligkeiten: Kontaktstörungen, Isolation, Rückzug, aggressive Verhaltensweisen, übermäßige soziale Konflikte, unzureichende Lösungsstrategien für Konflikte. Psychische Störungen mit Auswirkungen auf das soziale Verhalten usw.
Familienkonflikte: übermäßige familiäre Streitigkeiten, familiäre Beziehungsstörungen, Geschwisterrivalität, Mehr-Generationen-Konflikte usw.
Themenbereich Trennung-Scheidung-Neuzusammensetzung von Familien: Beratung in Partnerkonflikten der Eltern, Trennungs- und Scheidungsberatung, familienrechtliche Fragen (elterliche Sorge, Umgangsregelung, begleiteter Umgang), Unterstützung der Kinder in Trennungskonflikten, Beratung nicht sorgeberechtigter Elternteile, Beratung in Fragen neu sich zusammensetzender Familiensysteme
Psychosomatische Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Einnässen, Einkoten, Kopfschmerzen und andere psychosomatische Auffälligkeiten, frühkindliche Auffälligkeiten (z.B. Schlaf- und Essstörungen)
Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch, andere Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen
Auseinandersetzung mit anderen kritischen Lebensereignissen: Erkrankungen oder Tod von Elternteilen oder Geschwistern, Suizidversuche- oder -gefährdung, existenzielle Bedrohungen durch Arbeitslosigkeit, soziale Belastungen, Gefährdung des Aufenthaltsstatus etc.

Arbeitsformen in der Erziehungsberatung

Die Arbeitsweisen in den Beratungsstellen können sehr unterschiedlich sein, sie richten sich nach der jeweiligen Fragestellung und nach den spezifischen Qualifikationen und methodischen Schwerpunkten der Beratungsstelle oder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Das Erstgespräch zu Beginn einer neuen Beratung dient der Informationsgewinnung mit Erhebung der lebens- oder familiengeschichtlichen Fakten, der Einkreisung der zu bearbeitenden Fragestellungen und der Planung der folgenden Aktivitäten. Es können sich weitere diagnostische Maßnahmen anschließen, wie z.B. Psychologische Testuntersuchungen, Verhaltensbeobachtungen in der Beratungsstelle oder im sozialen Kontext der Betroffenen, Kontakte mit LehrerInnen, ErzieherInnen oder anderen Kontaktpersonen, alles natürlich in Absprache mit den Betroffenen und mit deren Einverständnis. Aus diesen Maßnahmen ergibt sich die gemeinsame Festlegung von Zielen der Beratung und der weiteren Vorgehensweise. Dies können sein:

Beratungskontakte mit Eltern(-teilen), Kindern/Jugendlichen oder der ganzen Familie.
Paarberatung oder -therapie der Eltern, Trennungs- und Scheidungsberatung.
Therapie der Kinder oder Jugendlichen (allein oder in Gruppen), übende Verfahren bei spezielleren Fragestellungen.
Familientherapie oder Familienberatung.
Interventionen und Vermittlung im sozialen Umfeld der Betroffenen.
Weitervermittlung in andere Institutionen, Anbahnung von weitergehenden Maßnahmen

Zu den präventiven Maßnahmen der Beratungsstellen können gehören:

Informationsveranstaltungen der Beratungsstelle zu speziellen Themen;
Elternabende in Schulen oder Kindertagesstätten mit abgesprochenen thematischen Schwerpunkten;
Präventive Gruppen für Kinder und Jugendliche (z.B. mit Entspannungstraining, andere übende Verfahren, Gruppen für Trennungskinder);
Zusammenarbeit mit anderen Institutionen zum Zweck der Vorbeugung, Mitarbeit in Präventionsräten etc.;
Informationen im Internet, Beratungs-Chats, wenige lokale Träger sind hier in der Erprobung, ansonsten über die bundesweite Vertretung der Beratungsstellen in der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. (www.bke.de).
Viele Formen der Kooperation mit anderen Institutionen dienen auch der Vorbeugung, z.B. Kontakte mit Erzieherinnen oder LehrerInnen.

Richtlinien für Erziehungsberatungsstellen

Vorbemerkung des LAG-Vorstandes

Im Folgenden werden die bisher gültigen Richtlinien des Landes Hessen für die Zulassung von Erziehungsberatungsstellen veröffentlicht.
Im Zuge der Integration des Landesjugendamtes Hessen in das Hessische Sozialministerium und der damit einhergehenden weitreichenden Verlagerung von Kompetenzen des Landes auf die Ebene der kommunalen Jugendhilfe sind diese Richtlinien als Anerkennungskriterium ausgesetzt.
Dennoch stellen sie – neben den Fachlichen Empfehlungen des Landesjugendamtes – eine wichtige Orientierung dar für die Verankerung unerlässlicher Standards institutioneller Erziehungsberatung in den hessischen Kommunen und Landkreisen.
Die Richtlinien als Download